Nicht umsonst ist das Memorandum der Arbeitgeberverbände AnikoS & AGV329 deutlich länger ausgefallen als in allen anderen Jahren. Denn zahlreiche Krisen wie Corona, der Ukraine-Konflikt, explosionsartige Inflationsraten und weltwirtschaftliche Turbulenzen haben viele der ohnehin bestehenden Probleme im nicht-kommerziellen Sektor verschärft. In den letzten 9 Jahren ist der Sektor aus finanzieller Sicht um fast 25% ärmer geworden. Finanziell begründete Fusionen kleiner Strukturen und Verstaatlichungen verringern die Vielfalt der Akteure aus der Zivilgesellschaft im Sektor. Zu niedrige Löhne verstärken den Fachkräftemangel, der dem nicht-kommerziellen Sektor immer größere Sorgen bereitet.
Wo genau der Schuh drückt, erfuhren die Verbände durch eine Umfrage, die sie Mitte letzten Jahres an ihre Mitglieder versendet haben. Seitdem ist viel passiert: Es gab zahlreiche zusätzliche Rückmeldungen in Form von Gesprächen, Telefonaten und Mails, die wiederum in Arbeitsgruppen ergänzt wurden. Schon früh ist man auch auf Regierung, Parlament und Ministerium zugegangen und hat dort bereits in der einen oder anderen Form erste Inhalte vorgestellt. Die verschiedenen Treffen haben erste Früchte getragen. So ist das Parlament auf den Vorschlag eingegangen, künftig in einen strukturierten Dialog zu treten. Besonders im Ministerium hat man sich einer Forderung zugewandt: den Abbau bürokratischer Hürden. Die Verbände erleben hier eine zutiefst konstruktive und wertschätzende Zusammenarbeit und erwarten einen positiven Abschluss.
„Der Wert der Gemeinnützigkeit“ lautet der Titel des ersten Kapitels. Mit etwas Humor zeigen die Verbände, dass der Sektor inzwischen unverzichtbar für Ostbelgien ist. Und zwar sowohl für die Wirtschaft als auch ganz besonders für die Gesellschaft. Es geht um eine Woche im Leben der zweifachen Mutter Anika: Nach ihrem Zahnarzttermin erstattet ihr die Christliche Krankenkasse einen Teil ihrer Rechnung, sie besucht ein Konzert von Eastbelgica oder bringt Wäsche zum Bügeln zur Alternative VoG. Wenn sie ein Auto für ihre Unternehmungen benötigt, greift sie auf Carsharing-Angebote zurück. Dazu hat die Fahrmit VoG sie beraten.
Wenn es gemeinnützige Organisationen nicht geben würde, dann wären viele dieser für das Gemeinwohl benötigten Dienstleistungen für die zweifache Mutter Anika nicht mehr bezahlbar – und das, obwohl sie der Mittelschicht angehört. Für Menschen mit weniger Einkommen sähe das natürliche noch düsterer aus. Auch Arbeitsplätze wären gefährdet: Denn der nicht-kommerzielle Sektor beschäftigt 10% der Arbeitnehmer in Ostbelgien, die zusammen 176,9 Millionen Euro an Wertschöpfung generieren.
Auch wenn verschiedene Krisen und Rahmenbedingungen wie die EU-Austeritätspolitik keine günstigen Voraussetzungen sind – die DG kann dem Sektor unter die Arme greifen und muss das aus Sicht der Verbände auch dringend tun. Aus diesem Grund geizen die Autoren nicht mit konstruktiven Vorschlägen im zweiten Teil „Die Wertschätzung der Gemeinnützigkeit in Ostbelgien“. Dazu gehören konkurrenzfähige Arbeitsplätze durch die Finanzierung höherer Löhne. Im soziokulturellen und Sportsektor beispielsweise sollen die Baremen auf 100% des „Zielbaremas“ angehoben werden. Vergleichbare Baremen gelten bereits seit Jahren in der Wallonie.
Die Löhne anzuheben, reicht allerdings allein nicht aus – Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden ebenfalls immer wichtiger. Auch die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme „AktiF“ muss nach Meinung der Verbände einer dringenden Reform unterzogen werden, weil sie nicht ansatzweise den Personal- und Finanzierungsbedarf der Organisationen deckt. Der Weggang von Mitarbeitern aus der Vorgänger-Regelung, dem BVA-System, bedeutet einen durchschnittlichen Verlust von 33% für die Mitgliedsorganisationen der Verbände.
Inflation und Indexanpassungen kompensiert die DG nur in äußerst geringer Höhe. Das hat weitreichende Folgen: In den letzten 9 Jahren ist der Sektor finanziell um fast 25% ärmer geworden. Natürlich wäre es realpolitisch utopisch von der DG zu verlangen, dass sie die Inflation komplett ausgleicht. Wenn Dienstleistungen des nicht-kommerziellen Sektors allerdings in ihrer jetzigen Form bestehen bleiben sollen, dann kommen wir auch hier um einen gerechteren Finanzierungsmechanismus nicht umher. Denn für gemeinnützige Organisationen kann es zur Herausforderung werden, selbst die aktuellen (oftmals zu niedrigen) Löhne zu zahlen und ihren gemeinnützigen Auftrag zu verfolgen. Beides kostet deutlich mehr Geld als noch vor den Krisen.
Auf der anderen Seite wünschen sich die Verbände eine transparentere Reformpolitik und mehr Einbindung des Sektors sowie weniger Fusionen oder gar „Verstaatlichungen“, wie sie zuletzt bei der Dienststelle für Selbstbestimmtes Leben oder beim Arbeitsamt zu beobachten waren.
Die letzten beiden Teile des Memorandums geben Aufschluss darüber, wie sich die Sektoren in ihrem jeweiligen Bereich positionieren. Auch hier mangelt es nicht an konstruktiven Vorschlägen – beispielsweise zur Arbeitsmarktpolitik, Gesundheitspolitik, Wohnungswesen, Verbraucherschutz und vielem mehr.
Übrigens: Weil die Autoren an vielen Stellen mit Zusammenfassungen und der Auflistung von „Kernforderungen“ arbeiten, sind die wichtigsten Punkte bereits nach wenigen Leseminuten klar und deutlich. Das 84-seitige „Megarandum“ dient also gleichermaßen als kurzes und bündiges Nachschlagewerk!
Zitat aus dem Titel: Raymond Walden, Autor